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Pressefreiheit in Russland: Wenn Medien Beißhemmung haben (müssen)

Vergangene Woche fand im nordwestrussischen Murmansk das Medienforum 2015 statt. Ich war dabei und konnte mir selbst ein Bild über den Stand der Pressefreiheit in Russland machen. Nicht nur deswegen hat sich die Reise gelohnt.

Es gibt immer wieder schöne Überraschungen im Berufsleben: Anfang November erreichte mich eine Anfrage, ob ich beim deutsch-russischen Medienforum einen Workshop zum Datenjournalismus machen könnte. Zuerst verstand ich, dass das in „Wurmannsquick“ stattfinden solle, im Laufe des Gesprächs stellte sich jedoch heraus, dass Murmansk gemeint war. Nordrussland statt Niederbayern. Murmansk liegt noch nördlich des nördlichen Polarkreises und das klang nach viel Abenteuer – also sagte ich zu.

Das Medienforum wird ausgerichtet vom deutsch-russischen Forum, das sich für den Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen einsetzt. Zu den Förderern des Medienforums zählen das Auswärtige Amt und in diesem Fall die Gebietsregierung von Murmansk. Zielgruppe sind deutsche und russische Journalisten bis 35 Jahre, die einen Bezug zu den beiden Ländern haben.

Ich konnte leider erst zum zweiten Veranstaltungstag am 4. Dezember anreisen, aber die zwei Konferenztage, die ich miterlebt habe, fand ich fachlich, persönlich und kulturell extrem bereichernd.

Regionalparlament beruft Zeitungs-Chefredakteur

Wir besuchten vier Redaktionen: eine Zeitung, ein Online-News-Portal und zwei Fernsehsender, einen staatlichen und einen privaten. Unsere Gruppe, zu der 16 Journalisten aus Deutschland und Russland, sowie drei Dozenten, darunter ich, gehörten, hatte Gelegenheit, mit den russischen Kollegen über ihre Arbeit zu sprechen. Mein Eindruck war, dass der Staat hier schon einen großen Einfluss hat, vor allem, wenn es um politische Berichterstattung geht. Der Chefredakteur der Tageszeitung „Murmanskij Vestnik“ wird von der regionalen Duma ernannt.

Die Teilnehmer des Medienforums zu Besuch beim Fernsehsender GTRK Murman

Die Teilnehmer des Medienforums zu Besuch beim Fernsehsender GTRK Murman

Die Kollegen scheinen sich mit dem System zu arrangieren und sich im Wesentlichen auf die Weitergabe von aktuellen Informationen zu beschränken. Einordnung, Analyse oder Kommentierung finden nur sehr verhalten oder gar nicht statt. (Wobei das auch für manche Regionalmedien in Deutschland gilt). Am ehesten ergreift noch der private Fernsehsender TV 21 Partei für „die Sache des kleinen Mannes“. Manche Kollegen sagten, das sei auch ein Ressourcenproblem, Personal- und Finanzausstattung seien eher dürftig. Das wurde auch als Erklärung angeführt, dass sich die anwesenden russischen Kollegen noch wenig oder gar nicht mit Datenvisualisierung und Datenjournalismus beschäftigt haben. (Diese Themen waren Gegenstand meines Workshops, die zugehörige Übung habe ich als Schritt-für-Schritt-Anleitung ebenfalls hier im Blog veröffentlicht.)

Online ist mehr Platz für kreml-kritische Berichte

So weit deckten sich meine Murmansker Erfahrungen mit dem, was ich bisher über den Stand der Pressefreiheit in Russland gehört und gelesen hatte.  Reporter ohne Grenzen listet Russland auf Platz 152 von 180 Ländern. Ich will die Kollegen auch gar nicht kritisieren, das steht mir nicht zu. Im Gegenteil: Ich ziehe meinen Hut, dass sie trotz dieser schwierigen Bedingungen aus idealistischen Gründen den Beruf des Journalisten gewählt haben.

Am 5. Dezember trat dann aber die investigative Journalistin Elisaveta Maetnaya von Gazeta.ru auf. Maetnaya zeigte, dass es auch eine Reihe von Medien gibt, die nicht systemtreu sind und auch über Missstände und Korruption berichten: etwa Kommersant oder die Novaya Gazeta. Elisaveta berichtete von ihren Recherchen über Nepotismus-Fälle oder Folterungen von Häftlingen. Sie ging auch auf russische Online-Medien und Blogger ein, die ebenfalls zu den kritischen Stimmen im Lande gehören, allen voran Alexej Nawalny.

Insofern ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild: Während der Staat Zeitungen und Fernsehsender weitgehend zu kontrollieren scheint, gibt es online noch mehr Freiheiten für (kreml-)kritische Berichterstattung. Dennoch bin ich froh, in einem Land zu arbeiten, in dem die Pressefreiheit einen ungleich höheren Stellenwert einnimmt.

Veranstaltungen wie das Medienforum sind wertvoll, weil sie seltene Gelegenheiten sind, sich aus erster Hand einen Eindruck vom Politik- und Mediensystem eines anderen Landes, in diesem Fall Russland, zu machen. Auch kulturelle Aspekte kommen nicht zu kurz, wir bekamen zum Beispiel das Leben der samischen Minderheit auf der Kola-Halbinsel näher gebracht.

Daher empfehle ich allen jungen Journalisten, das Medienforum 2016 auf dem Radar zu haben und sich im Herbst kommenden Jahres dafür zu bewerben.

P.S.: Ich sprach mit einer Fernseh-Redakteurin auch kurz über Putin-Trolle, worauf sie aber sehr ausweichend antwortete. Fast zeitgleich entbrannte am 4. Dezember auf dem schweizer News-Portal Watson eine heftige Debatte über die Frage, ob Putin-Trolle die Kommentare unter einem Russland-freundlichen Artikel über den Syrien-Konflikt gekapert haben. Ich habe die Diskussion auf piqd.de zusammengefasst.