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Wie die Digitalisierung das journalistische Berufsbild revolutioniert

Mitte 2018 erscheint mein Lehrbuch „Digitaler Journalismus. Eine Gebrauchsanweisung“. Zur Einstimmung veröffentliche ich die Einleitung, in der es um die Frage geht, wie die Digitalisierung das journalistische Berufsbild im Allgemeinen und die Teilbereiche Recherche, Produktion und Vermarktung im Speziellen verändert.

So sieht das Cover meines Lehrbuchs "Digitaler Journalismus. Eine Gebrauchsanweisung." aus. Gestaltet hat es Julia Köberlein.

So sieht das Cover meines Lehrbuchs „Digitaler Journalismus. Eine Gebrauchsanweisung.“ aus. Gestaltet hat es Julia Köberlein.

Revolution ist ein großes Wort, ein sehr großes sogar. Doch das, was seit einigen Jahren im Journalismus passiert, ist zweifellos eine Revolution. Die Digitalisierung pflügt das Berufsbild um und es ist noch immer nicht abzusehen, wie lange das noch dauern wird. Jahrzehntelang kontrollierten Journalisten den Informationsfluss: Wer wahrgenommen werden wollte, musste es in die Medien schaffen. Und wer das schaffte und wer nicht, darüber entschieden die Journalisten: Jahrzehntelang waren sie die Schleusenwärter, die Gatekeeper der Information.  Mit dem, was sie für berichtenswert hielten, prägten die Massenmedien maßgeblich das Weltbild ihrer Leser, Hörer und Zuschauer, die nur wenige Informationsalternativen hatten. Wer es nicht in die Massenmedien schaffte, hatte so gut wie keine Chancen, vom Publikum wahrgenommen zu werden.

Journalisten hatten damals eine doppelte Monopolstellung: Zum einen beim Zugang zu Informationsquellen, zum anderen bei der Veröffentlichung dieser Informationen. Um Nachrichten unters Publikum bringen zu können, war eine teure technische Infrastruktur notwendig: im Printsektor Druckereien samt Vertrieb, bei Radio und Fernsehen Studios und Sendemasten. Jedes Medium für sich erreichte ein kleineres oder größeres Publikum, die Kommunikationswissenschaftler sprachen von einer one-to-many-Kommunikation. Wobei der Kommunikationsbegriff irreführend war: Die Massenmedien waren der Sender, das Publikum die Empfänger, eine Rückmeldung oder ein Dialog fand so gut wie nicht statt, schon gar nicht öffentlich sichtbar. Unter den Massenmedien gab es eine Reihe von Leitmedien: die Fernsehsender ARD und ZDF, die Magazine SPIEGEL und Stern und Tageszeitungen wie Bild, Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Allgemeine Zeitung. Diese Marken hatten einen maßgeblichen Einfluss auf die Meinungsbildung vieler deutscher Medienkonsumenten.

Mit der Verbreitung des Internets, speziell des Social Web, haben sich die medialen Spielregeln grundlegend geändert. Heute kann jeder Mensch, der Zugang zum Netz hat, selbst publizieren: auf eigenen Websites, in Blogs, in sozialen Netzwerken oder in Communities – um nur die Spitze des Eisberges zu nennen. Mehrere Milliarden Menschen nutzen das Netz, um sich per Blogpost, Podcast, Bild, Video oder Mischformen daraus mitzuteilen. Aus dem Medienkonsumenten ist der „Prosument“ geworden, der nicht nur konsumiert, sondern selbst Inhalte produziert: user generated content.

Diese Inhaltsexplosion erschwert den klassischen Massenmedien den Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Zwar sind die oben genannten Leitmedien auch online bekannte  Marken. Das Internet ist ein riesiger Kommunikationsraum, in dem die journalistischen Botschaften nur eine kleine Nische ausmachen. Es gibt Millionen anderer Gesprächsteilnehmer, private wie professionelle, mit ganz unterschiedlichen Motiven und Interessen. Sie alle verbreiten ihre eigenen Botschaften. Viele hinterfragen die Berichterstattung von Massenmedien, widersprechen ihr oder verfälschen sie sogar. Auf diese Art verlieren die Massenmedien eine Großteil ihrer Deutungshoheit. Insofern hat sich das Leitbild der Massenkommunikation radikal gewandelt: Die one-to-many-Kommunikation ist von einer many-to-many-Kommunikation abgelöst worden. Sowohl bei der Beschaffung als auch bei der Verbreitung von Information haben Journalisten ihr Monopol verloren. Journalisten sind ihre Rolle als Schleusenwärter oder Gatekeeper los, die den Informationsfluss der Gesellschaft steuern. Wenn man im Bild bleiben will, betreiben Journalisten im digitalen Zeitalter eher Gatewatching: Sie beobachten, was es an Gesprächen gibt und greifen die interessantesten Themen in ihrer Berichterstattung auf.

Digitaler Journalismus – ein immerwährender Prozess

Einer der größten Unterschiede zwischen Online- und Offline-Journalismus ist die Produktionsweise. Zeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehsendungen arbeiten alle nach dem Prinzip des Redaktionsschlusses: Bis zu einer bestimmten Uhrzeit muss ein Beitrag fertig sein, damit er gedruckt bzw. gesendet werden kann. So funktionieren linear aufgebaute Produkte. Das Internet kennt hingegen keinen Redaktionsschluss: online is always. Ein in sich geschlossenes Produkt gibt es im digitalen Journalismus, speziell im tagesaktuellen, nicht mehr: Artikel werden mehrmals aktualisiert, Bildergalerien und Linksammlungen wachsen mit zunehmendem Kenntnisstand. Die Website, auf der diese Darstellungsformen ausgespielt werden, sieht alle fünf Minuten anders aus, sie ist ständig im Fluss. Darüber hinaus gibt es einen klaren Trend zu Live-Journalismus, sei es in Form von textbasierten Tickern oder als Videostream. Was früher den Fernsehsendern vorbehalten war, kann heute jedes Smartphone. Die Möglichkeit zur ständigen Aktualisierung bedeutet auch, dass es immer seltener Geschichten mit klar definiertem Ende gibt. War Journalismus früher ein Produkt, so ist er heute – vor allem online – immer mehr ein Prozess.

Recherche, Produktion und Vermarktung verschwimmen

Wenn sich die Rahmenbedingungen so radikal ändern, muss sich das auch auf den journalistischen Arbeitsablauf auswirken. Journalismus besteht im Wesentlichen aus Recherche, Produktion und Veröffentlichung. Damals wie heute. Allerdings hat sich auch jede dieser drei Teildisziplinen stark verändert. Vor allem sind die Grenzen zwischen diesen Disziplinen verschwommen.
Recherche: Dadurch, dass heute jeder im Netz veröffentlichen kann, ist es zu einer Informationsexplosion gekommen. Natürlich ist nur ein Bruchteil davon journalistisch relevant, aber genau diese wenigen relevanten und spannenden Inhalte müssen Journalisten herausfiltern können. Damit ihnen das gelingt, müssen sie soziale Netzwerke im Auge haben und gut vernetzt sein. Und so manches spannende Thema entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als haltloses Gerücht, Falschinformation oder bewusste Lüge. Vor diesem Hintergrund ist das Überprüfen von Informationen noch wichtiger geworden.
Das gilt auch für (strukturierte) Daten: Statistiken und Studien sind allgegenwärtig, bei der Interpretation sind statistische Kenntnisse mehr denn je gefragt. Die brauchen Journalisten auch, wenn sie noch einen Schritt weiter gehen und für ihre Recherchen selbst Daten erheben und von einer Website auslesen. Datenjournalismus ist eine zentrale Recherchetechnik im 21. Jahrhundert.

Produktion: Digitaler Journalismus verfügt über nie da gewesene Produktionsmöglichkeiten. Er vereint die bisherigen Mediengattungen in sich und kann sich in Text und Bild (Zeitungen und Magazine), Ton (Radio) und Video (Fernsehen) ausprägen. Meist kombiniert er diese Formate sogar, oft so, dass eine ganz neue Form mit neuem Mehrwert für den Nutzer entsteht. Dem digitalen Journalisten stehen so viele multimediale Werkzeuge zur Verfügung wie nie zuvor, mit denen er ein intensiveres Nutzungserlebnis kreieren können, das mehrere Sinne anspricht. Speziell audiovisuelle Inhalte wie Videos, O-Töne, Karten oder interaktive Grafiken spielen hier eine große Rolle. Natürlich beherrscht nicht jeder Journalist alle diese Werkzeuge und schon gar nicht gleich gut. Um so wichtiger ist die Fähigkeit, entscheiden zu können, welches Thema in welcher Form wann auf welchem Kanal für wen produziert wird und dann die jeweiligen Experten mit der Produktion zu beauftragen bzw. sich mit ihnen zusammenzutun. Mehr als je zuvor ist im digitalen Journalismus Teamwork gefragt.

Vermarktung: Die Frage: Wie erreiche ich heute mein Publikum bzw. meine Nutzer ist mit die schwierigste im digitalen Journalismus. Mediennutzung ist heute sehr komplex. Journalismus muss online mit unzähligen anderen Angeboten und Nutzerinteressen konkurrieren: Kommunikation, Spielen, Musik hören, Videos schauen, Fotos und Videos aufnehmen und bearbeiten, Einkaufen, Bankgeschäfte, Suchanfragen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Journalismus kann immer weniger damit rechnen, dass seine Nutzer zu ihm kommen, er muss dahin gehen, wo die Nutzer sind: in die sozialen Netzwerke, in die Messenger, in die Suchmaschinen. Das funktioniert aber nicht, indem man für ein Thema einen Inhalt generiert und diesen in alle Kanäle ausspielt. Wer auf den genannten Kanälen Erfolg haben will, muss seine Formate entsprechend anpassen, was die Auswahl, Aufbereitung und Intonation des Themas betrifft. Ja, das ist aufwändig, braucht Ressourcen und muss natürlich auch finanziert werden.

Wer seine Nutzer in diesen Kanälen erreicht hat, muss damit rechnen, dass er auch ein Feedback auf seine Inhalte bekommt. Er sollte sogar froh darüber sein, denn das zeigt, dass sich die Nutzer mit den journalistischen Inhalten auseinander setzen. Vielleicht nicht immer in Form von Lobeshymnen. Auch wenn es mal Kritik hagelt: Journalisten müssen lernen, damit umzugehen und Anregungen für Ihre Arbeit daraus zu ziehen. Idealerweise institutionalisieren Journalisten bzw. Redaktionen diesen Nutzerdialog, indem sie eine Community aufbauen. Das ist die neue Form der Leser-Marken-Bindung. Für Journalisten kann sie zwei Vorteile bringen: zum einen Hinweise für oder sogar Mithilfe bei einer Recherche, zum anderen Reichweite, indem Community-Mitglieder Beiträge im Netz teilen.

Die drei Disziplinen Recherche, Produktion und Vermarktung bilden auch den Leitfaden für dieses Lehrbuch. In den folgenden Kapiteln gebe ich konkrete Tipps, wie man die neuen Anforderungen in der Praxis bewältigt.


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