Die Informationsflut im Internet fordert die Journalisten heraus. Sie müssen mehr denn je fremde Inhalte sichten, aufbereiten und in einen Zusammenhang stellen. Wenn sich Journalisten in die Rolle des Mehrwert schaffenden Kurators begeben, entsteht eine neue Form des Storytellings.
Erdbeben, Tsunami, AKW-GAU: Die schrecklichen Ereignisse im Nordosten Japans halten die Welt in Atem. Auch für die Medien bedeutete das Ausnahmezustand. Vor allem die Online-Angebote der Massenmedien standen unter Starkstrom, ihre Fähigkeiten in der Echtzeitberichterstattung waren gefragt. Eine der am häufigsten gewählten Darstellungsformen war der Live-Ticker, Fiete Stegers hat dazu bei www.onlinejournalismus.de gebloggt. Die Herausforderung dabei ist nicht nur, den Strom der Agenturmeldungen zu filtern, sondern auch das Fernsehen und vor allem das Netz im Auge zu haben. Keine leichte Aufgabe. Zeit und Tagesschau erstellten kommentierte Linksammlungen für alle, die sich selbst ein Bild von aussagekräftigen Quellen machen wollen. Das ist eine sehr verdienstvolle Leistung, die in Zukunft immens an Bedeutung gewinnen wird. Neben den Links zu kompetenten Institutionen und Organisationen sind auch die Berichte von Augenzeugen wichtig, die vor allem in den sozialen Netzwerken Verbreitung finden.
Viel stärker als bisher werden Journalisten auch diese Quellen im Auge haben müssen und lernen, diese Kanäle zu filtern. Zum Social Media-Monitoring gibt es einen hervorragenden, sehr nutzwertigen Blogpost von Steffen Leidel auf dem lab-Blog der Deutschen Welle. Mich interessiert an dieser Stelle, wie Journalisten ihre Fundstücke einordnen und aufbereiten können, sprich: wie sie fremde Inhalte kuratieren können.
Für die aktuelle Ausgabe des medium magazins habe ich ein Interview mit Markus Bösch geführt, der zusammen mit Steffen Leidel bei lab bloggt. Bösch prophezeit einen Wandel im journalistischen Berufsbild:
Aggregieren ist auf jeden Fall ein zentraler Bestandteil zukünftiger journalistischer Arbeit. Journalisten haben kein Monopol mehr auf Nachrichten, Informationen sind für jedermann fast in Echtzeit verfügbar. Wir erleben gerade einen Übergang vom Gatekeeping zum Gatewatching. […] Die Herausforderung für den Journalisten ist, dass er trotzdem einen Mehrwert bieten muss.
Ich sehe es genauso: Journalisten verlieren durch das Netz zunehmend ihre Deutungshoheit, da jeder im Internet seine Sicht der Dinge publizieren kann. Eine immer wichtiger werdende Aufgabe der Journalisten wird in Zukunft sein, die Perlen herauszufischen und ansprechend aufzubereiten. So stark wie nie zuvor wird unser Berufsstand als Navigator gefragt sein. Auf den Punkt bringt es Josh Sternberg in seinem Post „Why curation is important to the future of journalism“ auf Mashable:
Curators help navigate readers through the vast ocean of content, and while doing so, create a following based on several factors: trust, taste and tools.
Vertrauen erwirbt man sich, indem man verantwortungsvoll mit Quellen umgeht. Dazu gehört erst einmal Transparenz, also diese Quellen offenzulegen und fair zu zitieren. Natürlich ist hier mehr denn je journalistische Sorgfaltspflicht gefragt, also auch zu verifizieren, ob die Quelle vertrauenswürdig ist. „The problem with all this eye-witness stuff is that it is unverified, sometimes unreliable, sometimes inaccurate“, schreibt Journalisten-Ausbilder Andy Bull in seinem Blog. Hier ist das journalistische Hintergrundwissen gefragt, die Fähigkeit, relevante Akteure zu identifizieren, ihre Interessen zu benennen und den Kontext aufzuzeigen, in dem ihre Äußerungen zu sehen sind. Insofern ist der kuratierende Journalist also nicht nur reiner Informationssammler, sondern Informationsaufbereiter.
Links einbetten und so Authentizität schaffen
An dieser Stelle kommen nun neue Werkzeuge ins Spiel. Die eingangs erwähnten kommentierten Linksammlungen von Zeit und Tagesschau sind gut inhaltlich gut ausgewählt, jedoch technisch beschränkt: Reiner Text mit externen Links. Viel authentischer wird diese Recherche-Leistung durch die Möglichkeit von Kurations-Tools, Webinhalte direkt einzubetten. Ich arbeite zum Beispiel mit Storify, wo man Stories erstellen kann, in die man jeglichen Webcontent direkt einbinden kann, seien es YouTube-Videos, Tweets, Facebook-Posts, Flickr-Bilder, RSS-Feeds oder einfach nur eine Webadresse. Für Journalisten besonders wichtig: Man kann beliebig viele Textfelder einbauen, um zu erklären, warum man diesen oder jenen Content ausgewählt hat, was daran besonders ist, von wem er stammt, in welchem Zusammenhang er zu sehen ist usw. So kann man jeder Geschichte eine richtige Dramaturgie geben, es handelt sich um eine neue Form des web-gerechten Storytellings.
Für jede Story kann man einen Embed-Code generieren, so dass man die Story in das eigene Angebot einbinden kann, so wie ich das hier mache:
Wenn diese Recherche- und Einordnungsleistung dann im eigenen Redaktions-Layout mit ansprechender Überschrift und packendem Teaser versehen wird, ist ein Werk mit Mehrwert für den Leser entstanden.
Neben Storify gibt es noch viele andere Kuratierungs-Tools, welches am besten für den journalistischen Gebrauch geeignet ist, wird sich zeigen. Es wäre auch zu begrüßen, wenn Medienhäuser hier eigene, auf ihren Bedarf zugeschnittene Werkzeuge entwickeln würden. Der Aufwand würde sich lohnen und wäre die angemessene Reaktion in der linkbestimmten Aufmerksamkeitsökonomie des Internets: Kommentierte Linklisten waren gestern, den anhand von relevanten Links, Tweets und Videos erzählten Geschichten gehört die Zukunft.
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