Zum Inhalt springen

Journalismus&Netz im Mai: Trump contra Twitter, Nannen-Preis für Rezo, Media Pioneer feiert Meinungen

Der US-Präsident regt sich über Faktenchecks seiner Aussagen auf, ein Nannen-Preis für YouTuber Rezo entfacht Diskussionen, ob das Journalismus ist und Gabor Steingarts Startup Media Pioneer singt ein Loblied auf Meinungen – auch auf unbequeme.

Twitter factchecked Trump

Ende Mai kam es zum großen Streit zwischen US-Präsident Trump und Twitter. Trump hatte in einem Tweet Briefwahlen als eine Form der Wahlfälschung bezeichnet. Twitter deklarierte diese Aussage als „unbegründet“ und versah den Tweet mit einem Link zu Hintergrundinformationen über das Briefwahl-System in den USA. Das wiederum trieb Trump auf die Palme und er erließ ein Dekret, mit dem er den sozialen Netzwerken unter anderem die Möglichkeit nehmen will, solche Faktenchecks, in denen Trump eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sieht, zu veröffentlichen. Rechtlich dürfte er damit aber kaum durchkommen.

Zuckerberg: Unternehmen sollten nicht „Schiedsrichter über die Wahrheit“ sein

Facebook-Chef Mark Zuckerberg kritisierte Twitters Trump-Faktencheck und sagte, Unternehmen sollten sich nicht zum „Schiedsrichter über die Wahrheit“ aufspielen. (Dazu muss man wissen, dass auch Facebook schon nachweislich falsche Beiträge von Politikern entfernt hat.). Als Trump wenige Tage später auf Facebook und auf Twitter schrieb, „Wenn Plünderungen beginnen, wird geschossen“, veröffentlichte Twitter einen weiteren Faktencheck, während Facebook untätig blieb. Einige hundert Facebook-Mitarbeiter traten deshalb in einen virtuellen Streik.

Facebooks Lösch-Faktoren

Die Art und Weise, wie soziale Netzwerke, speziell Facebook, mit strittigen Inhalten umgehen, sorgt immer wieder für Diskussionen. Richard Allan, der zehn Jahre für Facebook gearbeitet hat, erörtert in einem Interview mit dem Reuters Institute, an dem er jetzt forscht, welche Faktoren eine Rolle spielen, ob ein Inhalt gelöscht wird oder nicht.

Das Interview ist schon vor dem neuesten Streit zwischen Trump und den sozialen Netzwerken entstanden, gibt aber einen sehr guten Einblick in die Arbeit speziell von Facebook: Im Prinzip geht es um das Verhältnis der vier Faktoren Schädlichkeit, Falschheit, politische Ansichten und Resilienz der Nutzer. Wenn etwas falsch ist, muss es noch nicht schädlich sein, wird also eher nicht gelöscht. Darum entscheidet nicht allein das Urteil von Faktencheckern, mit denen z.B. Facebook zusammenarbeitet, ob ein Inhalt gelöscht wird, sondern auch die Einschätzung von Content Moderatoren, wie schädlich der Inhalt für die Menschen ist („das Tragen von Masken aktiviert das Coronavirus“).

Corona-Unsinn steht häufig auf YouTube

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Auswertung von Correctiv, das seine NutzerInnen gefragt hatte, welche fragwürdigen Informationen zum Coronavirus ihnen wo untergekommen sind. Das Ergebnis: Die meisten irreführenden Aussagen zum Coronavirus stehen auf YouTube, verbreitet werden sie in erster Linie über Whatsapp.

Das Social Media Watchblog spricht sogar von einer Corona-Infodemie und hat in einem sehr lesenswerten Briefing herausgearbeitet, warum so viele Menschen an Verschwörungstheorien glauben: 

Journalisten sollten auch sagen, was sie nicht wissen

Die österreichische Netzexpertin Ingrid Brodnig hält es für enorm wichtig, dass Journalisten gerade in Corona-Krisenzeiten das Wirrwarr an Information und Desinformation entflechten – so gut es geht, zum Beispiel in Form eines „Truth-Sandwiches“: Erst der wahre Sachverhalt, dann die falsche Aussage und zum Schluss wieder etwas Richtiges. Manchmal gibt es Fragen die Journalisten nicht beantworten können.

In diesem Fall empfiehlt Brodnig in ihrem Journalist-Gastbeitrag „Im Zweifel für den Zweifel“, zum jeweiligen „Wissenstand inklusive seiner Lücken zu stehen.“ Als Positivbeispiel erwähnt sie den mittlerweile deutschlandweit bekannten Virologen Christian Drosten, der auch oft betont, was man nicht weiß. Drosten hält sich sehr zurück, Dinge auch nur ansatzweise zu kommentieren, mit denen er sich nicht beschäftigt hat, wie das Team des Podcasts „Corona Virus Update“ in einer Hintergrundfolge erzählt hat.

Im Medium Magazin geben die Macher des „Corona Virus Update“ übrigens 12 Tipps, was Journalisten aus dem Drosten-Podcast lernen können.

Braucht Journalismus Stars?

Digitaljournalismus-Expertin Alexandra Borchardt findet, dass Drosten zum „Star mit allen Risiken und Nebenwirkungen“ geworden ist. Und sie ist der Meinung, dass der digitale Journalismus Stars brauchen kann, unter anderem, weil sie Nutzer binden. Dazu müssen sie noch nicht mal Journalisten sein, so wie YouTuber Rezo, der gerade für sein 2019 veröffentlichtes Video „Die Zerstörung der CDU“ einen Nannen-Preis für das beste Web-Projekt bekommen hat – was in der Branche durchaus umstritten ist. Ben Krischke kommentiert auf Meedia, dass er Rezos Auszeichnung für falsch hält, weil Rezo „kein Journalist, sondern Entertainer mit einem gewissen Informationsanspruch ist“.

Rezo sieht sich nicht als Journalist

In seiner Zeit-Kolumne setzt sich Rezo mit einigen Vorwürfen an seiner Arbeitsweise auseinander, zum Entertainer-Vorwurf schreibt er etwa:

„Diese Kritik macht Journalismus von der Form statt vom Inhalt abhängig. Und wenn der Sprachstil von meinen Mitte-20- bis Mitte-30-jährigen Freunden und mir als „Jugendsprache“ bezeichnet wird, offenbart das ehrlich gesagt nur einen grundlegenden disconnect zu einem signifikanten Teil der erwachsenen Bevölkerung und ist in etwa so treffend, wie wenn man Tagesschau-Texte als „Rentnerslang“ bezeichnet.“

Im Übrigen sieht sich Rezo „durch diesen Preis nicht als Über-Journalist“, im Gegenteil er findet es, „sogar immer noch merkwürdig, mich überhaupt als Journalisten zu bezeichnen.“

Über seine Arbeitsweise, sein Geschäftsmodell als Künstler und seine Rolle als öffentliche Person spricht Rezo auch mit Netzpolitik.org-Chefredakteur Markus Beckedahl.

Media Pioneer feiert „Meinungen der anderen“

Im Mai ist auch Media Pioneer gestartet, das Star-Up des früheren Handelsblatt-Herausgebers Gabor Steingart. Media Pioneer wirbt sehr selbstbewusst mit dem Slogan „100 Prozent Journalismus, keine Märchen“. Vera Linß berichtet im Deutschlandfunk unter anderem über das Geschäftsmodell und die redaktionelle Ausrichtung von Media Pioneer. Auf die darf man tatsächlich neugierig sein: In einem Werbevideo ruft Steingarts Tochter Timea dazu auf: „Lasst uns anfangen, die Meinung der anderen zu feiern“. Steingart selbst ergänzt, als im Video der iranische Ayatollah Khomeini zu sehen ist: „Selbst wenn wir die Meinungen nicht mögen, sollten wir sie auf jeden Fall respektieren“.

Stefan Niggemeier kommentiert in seinem Übermedien-Blog:

„Die Fixierung auf Meinungen ist bemerkenswert. Meinungen werden doppelt absolut gestellt: Sie sind in jedem Fall zu tolerieren und zu respektieren. Und sie sind alles, was es gibt. Handeln spielt irgendwie keine Rolle.“

Und weist darauf hin, wie „kostengünstig ‚Meinung‘ doch im Vergleich zu so etwas wie ‚Recherche‘ zu haben ist“.

Knüwer entsetzt über Steingarts „Morning Briefing“

Schon länger bietet Steingart ja seinen Newsletter „Morning Briefing“ an, den sich Thomas Knüwer, Inhaber einer Digitalberatung, mehrere Monate lang akribisch durchgelesen hat- mit dem Ziel, Steingarts Markenversprechen „100% Journalismus. Keine Märchen“ auf den Prüfstand zu stellen. Sein Fazit: „Das Ausmaß an Verdrehungen, Fehlern und Unhöflichkeiten, die Steingart produziert ist für mich schlicht unerträglich.“

Recherche mit OSINT-Tools

Schön häufiger habe ich an dieser Stelle Recherche-Tools empfohlen. Vor kurzem hat das  

OSINT Curious Project eine umfangreiche Linkliste veröffentlicht: Die Osint Curious OSINT Resource List sammelt sehr praktische Tipps zu Suchmaschinen-Operatoren, Suche in sozialen Netzwerken, Website-Analyse, Personensuche, Suche mit Kartendiensten oder Bilder- und Videoverifikation, um nur ein paar Beispiele zu geben. Die Links führen entweder zum Osint Curious-Blog oder auf den YouTube-Kanal des Projekts.

Truthnest analysiert Twitter-Accounts

Wer einen genaueren Blick auf Twitter-Accounts werfen will, kann neuerdings das Analyse-Tool TruthNest kostenlos nutzen. Es checkt die Aktivität eines Nutzers, dessen Netzwerk und Einfluss auf Twitter. So kann man unter Umständen herausfinden, ob es sich um einen Bot-Account handelt. Aber auch eine Analyse des eigenen Accounts ist sehr aufschlussreich, weil man sieht, welche Account man häufig erwähnt, auf welche Seiten man verlinkt und welche Hashtags man am häufigsten verwendet.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Torial-Blog.