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Nachrichten: Wie viel Zusammenfassung darf es sein?

Wo gehören die neuen Fakten in einer Nachricht hin? Klar in die Überschrift, aber dann? In den Teaser? Lieber als Aufzählung am Beginn? Oder als Zusammenfassung am Ende? Ich habe das mit einigen Kollegen auf Twitter diskutiert. Hier die Ergebnisse.

Am Dienstag bin ich bei Spiegel Online zufällig über eine Wirtschaftsmeldung gestolpert, die mit einer Zusammenfassung endete:

Der neue griechische Finanzminister Varoufakis will den Streit um den Schuldenschnitt lösen, indem er ihn nicht mehr Schuldenschnitt nennt. Doch dringender als die Frage, ob und wann die Euroländer ihr Geld zurückkriegen, sind die bald fälligen Schulden des Landes bei privaten Gläubigern. Und wie Varoufakis dieses Problem angehen will, verrät er nicht.

Dabei handelt es sich laut SPON um ein Experiment (das inzwischen wohl wieder eingestellt ist). Meine erste Frage war: Ist das sinnvoll? Fällt das in die Psychologie, die empfiehlt: 1. Sage, was Du sagen wirst 2. Sage es 3. Sage, was Du gesagt hast Schließlich gibt es ja auch einen Teaser zu Beginn des Artikels, der ja auch eine Art Essenz des Artikels ist.

Umschuldung statt Schuldenschnitt: Griechenlands Finanzminister schlägt zur Lösung der desolaten Finanzlage vor, neue Anleihen auszugeben – mit unbegrenzter Laufzeit. Doch seine Pläne hat er ohne die privaten Gläubiger gemacht.

Dann kam mit sogleich die SZ in den Sinn, die bei Ihren Nachrichten ebenfalls eine Zusammenfassung bringt – allerdings am Anfang und in Form von Bulletpoints (hier ein Beispiel). Ich habe diese Beobachtung getwittert und die Frage gestellt, wo die Zusammenfassung am besten aufgehoben ist, am Anfang oder am Ende?Das löste eine spannende und konstruktive Twitter-Diskussion aus, die ich hier nochmal kurz nachzeichnen möchte. In meiner Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule habe ich in den Neunzigern gelernt (wie Generationen von Journalisten vor mir), dass das Wichtigste in einer Nachricht an den Anfang gehört. W-Fragen beantworten und zwar schnell. Das galt für Print, Radio und Fernsehen, Online gab es damals noch nicht (zumindest nicht in unserer Ausbildung). Als ich 2001 bei sueddeutsche.de anfing, waren zusehends „Cliffhanger-Teaser“ gefragt: Vorspänne, die die News anreißen, zuspitzen und bewusst unvollständig geschrieben sind. Ziel: den Leser zum Klicken animieren. Nach dieser Methode verfuhren einige große Online-Nachrichtenportale viele Jahre lang, manche tun es noch heute.

Nicht jeder Text eignet sich, um ihn mit einem Cliffhanger anzumoderieren. Oft gelingen Cliffhanger besser bei „Geschichten“, bei denen es eine Entwicklung, eine Dramaturgie gibt, also vor allem bei Features, Reportagen und Porträts. Bei reinen Nachrichtenstücken ist es oft ein bisschen müßig zu teasern: Oft wird eine Nachricht schon mit einer einzigen neuen Information weitergedreht und die lässt sich dann schlecht hinter einem Cliffhanger-Teaser verstecken, wenn man den Leser nicht total veralbern will. Der Cliffhanger-Teaser wurde in einer Zeit groß, in der News-Seiten stark auf Reichweite und damit auf Page Impressions aus waren. (eine oft sehr un-journalistische Ausprägung waren „Foto-Klickstrecken“). Seit ein paar Jahren gelten bei der IVW die Visits als Hauptkritierium, was aber nicht heißen muss, dass Überschrift und Teaser eines Artikels nicht auch weiter neugierig machen dürfen. Patrick Bernau, Leiter der Wirtschaftsredaktion von FAZ.net, plädiert daher statt für Zusammenfassungen schlicht und einfach für einen „gut geschriebenen Teaser“. Und die Freie Journalistin Isabell Prophet hat auch ihre Probleme mit Zusammenfassungen:

 

Ok, ein Teaser hat nach wie vor seine Existenzberechtigung. Die Frage ist, wie oft er auftaucht. Bei vielen Seiten (SPON, SZ) wurde der Teaser – ob Cliffhanger oder nicht – im vollständigen Text 1:1 wiederholt. Während es SPON noch immer so macht, ist man bei der Süddeutschen dazu übergegangen, den Teaser nur auf den Übersichtsseiten (Homepage, Ressort-Seite) zu verwenden und den Text mit einer Zusammenfassung in drei oder vier Bulletpoints zu beginnen (in einer Zwischenphase stand diese Zusammenfassung nach der Teaser-Wiederholung, was aber schon arg redundant wirkte).

Die Bulletpoint-Version ist auch für Schnelleser gedacht, die die wichtigsten Facts auf einen Blick haben wollen. Und diese Fact sucht man doch eher am Anfang als am Ende. Das sehe ich genauso wie Rhein-Zeitungs-Kollege Lars Wienand:

 

 

Fabian Mohr von Zeit Online (früher ebenfalls Autor bei onlinejournalismus.de) brachte dann das Beispiel der österreichischen NZZ-Ausgabe in die Diskussion ein. Hier werden „News einfach als Bulletpoints zusammengefasst, ohne Prosa sozusagen. Ton nachrichtlich-nüchtern.“ Und lieferte den Screenshot von hinter der Paywall gleich mit:

 

Mich überzeugt diese Lösung aus zwei Gründen nicht: Erstens kannibalisieren sich sechs oder sieben Bulletpoints, drei oder vier kann man sich sicher leichter merken. Zweitens: Bei so viel Verkürzung bleibt der Kontext auf der Strecke. Nachrichten sollen meines Erachtens immer auch sagen, was die Neuigkeit bedeutet.

Arne Henkes von T-Online brachte dann noch die Sharelines von der Los Angeles Times ins Spiel:

 

Das geht wieder in Richtung des SZ-Ansatzes: Es gibt keinen Teaser, sondern zwei Facts, die direkt mit einem Share-Button (Twitter oder Facebook) verknüpft sind. Wenn man das so macht, dann sollte man allerdings andere Fakten als die Hauptschlagzeile auswählen, damit der Leser hier nicht auf der Stelle tritt, sondern noch etwas neues erfährt.

Natürlich gibt es nicht die für alle Seiten und Artikel glückselig machende Lösung. Einen grundsätzlichen Unterschied sehe ich zwischen erzählenden und nachrichtlichen Stücken. Bei den Nachrichten machen meines Erachtens die Kombination Teaser auf der Übersichtsseite und Aufzählung der neuen Fakten zu Beginn des Artikels am meisten Sinn. Reine Faktenlisten bieten mir zu wenig Kontext. Vielen Dank an die oben genannten Kollegen für die anregende Diskussion, vielleicht führen wir sie ja hier weiter fort.