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News-Aggregator “The Buzzard”: Raus aus der Filterblase!

Fake News und Filterblasen-Gefahr sind zwei ärgerliche Phänomene für Netznutzer. Das deutsche Start-up “The Buzzard” begegnet dem, indem es zu großen politischen Themen handverlesene Pro- und Kontra-Beiträge auswählt – und so für eine ausgewogenere politische Debatte sorgen will.

Dario Nassal mag es gerne bunt. Vor allem dann, wenn es um Meinungsvielfalt geht. Er hat mehrere Praktika bei etablierten deutschen Medien absolviert. Am Ende hatte er aber meistens den Eindruck, dass die Medien nicht besonders kreativ bei der Wahl ihrer Gesprächspartner sind: Bekannte und prominente Politiker, Experten oder Vertreter von Organisationen und Unternehmen dominieren die Nachrichtenwelt. Viel Establishment eben. Der Politikwissenschaftler und Journalist Nassal vermisste “Randstimmen abseits großer Medienhäuser und abseits unserer eigenen sozialen und virtuellen Blasen”. Zum Beispiel die Stimmen von Bloggern, Aktivisten und Wissenschaftlern. Deswegen beschlossen er und seine Studienkollegen Felix Friedrich und Alexander Diete 2015, ein Portal zu schaffen, das eben diesen Leuten und ihren Perspektiven eine Plattform bietet: “The Buzzard”.

Buzzard ist das englische Wort für Bussard. Wie der Greifvogel sollen die Nutzer über einer “Welt aus politischen Perspektiven schweben und den Überblick genießen” – oder aber sich sturzflugartig auf ein Thema stürzen können. Denn die achtköpfige Redaktion (zumeist Nachwuchsjournalisten, aber auch ein Fernsehjournalist mit 35 Jahren Berufserfahrung) stellt seit Februar 2017 jede Woche ein großes politisches Thema zur Debatte: “Ist die Große Koalition gut für Deutschlands Zukunft?”, “Ist unser Lebensstandard gefährdet, wenn wir strengere Umweltpolitik machen?”; oder “Gibt es gute Gründe, deutsche Waffenexporte zu rechtfertigen?”. Zu jedem Thema sammelt die Redaktion etwa zehn Artikel. Basis ist eine selbst erstellte und stetig wachsende Datenbank mit derzeit etwa 2.000 deutsch- und englischsprachigen Quellen, vor allem politische Blogs, Meinungsseiten, die Websites von Politikern und Organisationen, aber auch Think Tanks und Aktivisten.

Bei jedem Debattenthema halten sich Pro- und Kontra-Beiträge die Waage. Außerdem gibt es Hintergrund-Artikel, die den Horizont der Leser erweitern oder sogar Lösungsansätze liefern sollen. Abgerundet wird jedes Thema durch eine Faktenbox. Ein Redakteur moderiert jeden Pro- und Kontra-Artikel mit einem kleinen Pitch-Text an, in dem er das Hauptargument kurz zusammenfasst, erklärt, warum er den Artikel empfiehlt, und ergänzt, aus welcher Ecke der Autor kommt, welcher politischen Position er nahesteht und was man noch über ihn wissen sollte.

Auf diese Weise will “The Buzzard” seinen Nutzern helfen, die eigene Filterblase zu verlassen und über den Tellerrand zu schauen. Zwei Drittel der Themen drehen sich um deutsche Politik, der Rest um internationale Konflikte.

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Kernstück von “The Buzzard” ist der Debatten-Navigator, der zu einem Thema Pro- und Kontra-Argumente präsentiert. Screenshot: thebuzzard.org

Abonnenten dürfen über Themen abstimmen

Einmal im Monat lässt die Redaktion die Abonnenten aus drei Vorschlägen das Thema auswählen, das als Nächstes bearbeitet werden soll. Das kommt einerseits gut an, “trotzdem kann es manchmal sein, dass für manchen Abonnenten kein Thema dabei ist, das ihn interessiert”, sagt Nassal. Deswegen will “The Buzzard” künftig pro Woche zwei oder sogar drei Themen präsentieren, “wo dann für jeden was dabei ist”.

Der “Debatten-Navigator” ist das Kernstück von “TheBuzzard” und nur für Abonnenten zugänglich. Frei verfügbar ist die vor Kurzem gestartete Rubrik “Buzzard Daily”: Von Montag bis Freitag ordnet ein Redaktionsmitglied ein aktuelles Thema (Wechsel an der SPD-Spitze, Deniz Yücel, kostenloser ÖPNV) anhand von verschiedenen Nachrichtenquellen ein: zum Beispiel, warum Südafrikas Präsident Zuma zurückgetreten ist, was sein Nachfolger anders machen will und wie verschiedene Medien, Ökonomen und Politikwissenschaftler den Machtwechsel bewerten. Die verschiedenen Quellen sind dann jeweils verlinkt. Von der Machart erinnert das sehr an den Morgenpost-Newsletter von Krautreporter Christian Fahrenbach.

Investor gesucht

Mit ihrer Idee, Auswege aus der Filterblase zu zeigen und so einen Beitrag zu einer qualifizierten politischen Debatte zu schaffen, haben Nassal, Friedrich und Diete einen Nerv getroffen. Die drei Gründer haben bereits eine Reihe von Fördermitteln an Land gezogen, zum Beispiel 50.000 Euro von der Google Digital News Initiative. Mit dem Google-Geld entwickelt das Team gerade eine Art Meinungssuchmaschine. Zu den weiteren Gebern und (auch ideellen) Förderern zählen das Journalismus-Netzwerk VOCER (wo Nassal auch Stipendiat ist), das Media Lab Bayern und das Social Impact Lab Leipzig. Dort sitzt ein Teil der Redaktion, der Rest der Redaktion ist in München und Umgebung ansässig und wird per Video-Call zur wöchentlichen Redaktionskonferenz zugeschaltet.

Das Team von “The Buzzard” im Media Lab Bayern. Links: Dario Nassal, rechts: Felix Friedrich.

Die regulären Einnahmen sind noch sehr überschaubar: Zurzeit gibt es etwa 100 Pro-Nutzer, die 8,50 Euro im Monat für den vollen Zugriff auf die Debattentexte zahlen. Das reicht auf Dauer natürlich nicht, um das Team aus zwei Geschäftsführern, drei Software-Entwicklern, einem Business-Development-Experten und acht Redakteuren zu finanzieren. Wobei fünf Redakteure aus Überzeugung ehrenamtlich für “The Buzzard” schreiben und nur drei Freelancer auf Artikelbasis bezahlt werden. Deswegen suchen Nassal und Friedrich nach Investoren.

Sie haben aber auch andere Finanzierungsideen im Hinterkopf: Zum einen will das Duo Verlage als Kooperationspartner gewinnen. Zum anderen könnte künftig auch Werbung eine Rolle spielen: Nutzer, die nicht zahlen möchten, könnten künftig – ähnlich wie bei Spotify – immer wieder Werbung eingeblendet bekommen. Der Newsletter könnte für Sponsoren geöffnet werden. Wenn all diese Maßnahmen wie geplant greifen, peilt “The Buzzard” einen Break-Even in zwei Jahren an.

Große Ziele für die Zukunft

Auch Aussehen und Funktionen von “The Buzzard” werden weiterentwickelt. Neben einem optischen Relaunch arbeitet das Team an einer App, in der es mehr Community- und Gamification-Elemente geben soll. Auch an eine Personalisierung ist gedacht: Die Buzzard-Nutzer sollen Themen angeben können, die sie besonders interessieren. “Zu diesen Themen erhalten sie dann neue Perspektiven, die sie vermutlich noch nicht kennen”, so Nassal.

All diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, mittelfristig ein nicht ganz unbescheidenes Ziel zu erreichen: “die größte Plattform für politische Perspektiven in Europa zu werden.” So schreiben es die Macher auf ihrer Website und ergänzen: “Es ist die Vision von The Buzzard, dass Menschen überall auf unserem Kontinent die volle Bandbreite politischer Debatten wieder besser wahrnehmen können und freier und unabhängiger darin werden, sich über Politik zu informieren.” Innerhalb der nächsten vier Jahre soll eine englischsprachige Version an den Start gehen.

Fazit

“The Buzzard” kommt in einer schnelllebigen, kurzatmigen Nachrichtenwelt gerade recht. Die Idee, auch abseitige Perspektiven zu präsentieren und so festgefahrene Debatten aufzubrechen, hat großes demokratisches Potenzial. Das ist auch ein Grund, warum das Projekt so viele prominente Förderer hat. Die spannende Frage ist, ob “The Buzzard” den geplanten großen Sprung aus der Nische des deutschen “Meinungs-Kurators” zum europaweit beachteten Meinungsportal tatsächlich schafft.

Dieser Beitrag wurde zuerst auf Fachjournalist.de veröffentlicht.