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Verifizieren – die journalistische Schlüsselqualifikation

Hoaxes, Falschmeldungen, gezielte Desinformation sind im Netz an der Tagesordnung. Kein Wunder, dass sich ein Thema wie ein roter Faden durch viele Journalismus-Sessions auf der re:publica zog: Die Kunst des Verifizierens.  Wie Mensch und Maschine am besten zusammenarbeiten, um Falschmeldungen zu vermeiden.

Der Absturz der Germanwings-Maschine 4U9525 war in jeder Hinsicht eine Extremsituation – auch im Journalismus. Auf Breaking News – zumal von solcher Tragweite – reagieren die meisten (deutschen) Medien mit Live-Tickern. Problem dabei: Die oft unübersichtliche Nachrichtenlage. Schnell schossen Spekulationen ins Kraut, vor allem, was die Ursache betrifft. Viele Medien wie etwa die ARD erlagen dem Reflex, erst einmal von einem technischen Versagen auszugehen, obwohl es noch keinerlei Anzeichen dafür gab – und die Ursache ja eine ganz andere war, wie sich erst zwei Tage später herausstellte.

Einige Medien, wie die Süddeutsche, Spiegel oder die FAZ lösten das besser, indem sie die Wasserstandsmeldung 2.0 schrieben:  Sie veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Was wir über den Absturz wissen“, wo sie in Stichpunkten die eindeutigen, weil verifizierten, Informationen festhielten, meist gefolgt von einem zweiten „Was wir nicht wissen“-Teil. Das schafft Transparenz, die gut tut und die Gefahr des Spekulierens zumindest etwas eindämmt. In manchen Fällen kann das sogar dazu führen, dass die Nutzer fehlende Teile zum großen Informationspuzzle beitragen können. Wie in so vielen Fällen zuvor, haben sich das die deutschen Medienmacher mal wieder in den USA abgeschaut. Natürlich taten das nicht alle und so kam es auch zu üblen Fehltritten: Einige Medien verbreiteten das Foto einer vollkommen unbeteiligten Person als das Foto von Andreas L. und machten ihn zum „Todes-Piloten“, zum Teil unverpixelt. Da war die gründliche Recherche mal wieder auf der Strecke geblieben.

Dieses Wahlplakat kommt in Optik und Inhalt wie ein AfD-Plakat daher, ist aber natürlich ein Fake. Obwohl das spätestens am Schriftzug "Alternative für Arsch&Friedrich" erkennbar  ist, hielten viele Netz-Nutzer das Plakat für echt

Dieses Wahlplakat kommt in Optik und Inhalt wie ein AfD-Plakat daher, ist aber natürlich ein Fake. Obwohl das spätestens am Schriftzug „Alternative für Arsch&Friedrich“ erkennbar ist, hielten viele Netz-Nutzer das Plakat für echt

In Zeiten, wo die Gier nach schnellen Informationshäppchen und Aktualisierungen stetig steigt, ist eine saubere Verifizierung um so wichtiger. Auf der re:publica kam das Thema in mehreren Sessions zur Sprache. Am unterhaltsamsten taten das Deef Pirmasens und Christian Schiffer vom Bayerischen Rundfunk, die unter dem Titel „Hoax-Kampagnen: Opium fürs Empörungsvolk“ eine kleine Kulturgeschichte der Falschmeldung präsentierten: Von Kettenmails über Bonsai-Kittens und den Widerspruch gegen die Facebook-AGB  bis hin zu politisch motivierten Hoaxes wie gefälschten Wahlplakaten.
Die beiden gaben aber auch praktische Tipps mit, wie man Hoaxes erkennt:

1. Wer ist der Absender und ist er vertrauenswürdig?
2. Wer ist die Quelle des Absenders und ist sie glaubwürdig?
3. Bei Zweifeln an 1. oder 2. eine zweite Quelle suchen.
4. Wieder bei 1. anfangen und solange fortsetzen, bis verlässlicher Absender und Quelle gefunden sind.
5. Bis dahin: keinen Bullshit verbreiten!

Wenn ein Thema gar zu schräg klingt, hilft oft schon eine einfache Suche nach der Schlagzeile und/oder dem Hashtag verbunden mit „Hoax“, „Fake“ oder „Stunt“. Pirmasens und Schiffer lieferten auch ein paar Seiten mit, die Hoaxes sammeln (siehe Seite 84 ihres Vortrages).

Verifizieren in politischen Konflikten

Was aber, wenn es nicht um baseballwerfende Katzen, sondern um harte Politik geht? Darum ging es im Vortrag „Plug&Play News: Sourcing, Verifying and Publishing Information in a Real Time Crisis“ von Rayna Stamboliyska und Tatjana Bohdanova, die zum Beispiel anhand der 2014er Demonstrationen um den Europakurs der Ukraine (#euromaidan) wertvolle Verifizierungs-Tipps gaben:

– grundsätzlich skeptisch und geduldig sein: eine Meldung erst einmal als Fake ansehen, bis sie als wahr bewiesen ist
– in politischen Konflikten muss man den Kontext und die Hintergründe kennen:

 

– die 5Ws beantworten: Wo? Wer? Wann? Was? Warum?
– Accounts gegenchecken: Wann wurden sie gegründet? Wie viele Follower haben sie? Folgen ihnen vertrauenswürdige Leute?

Menschen fallen oft auf Bilder herein, dazu gaben die beiden Verifizierungs-Expertinnen ein paar Tools-Empfehlungen:

– Google Reverse Image Search: Ein Bild bei Google hochladen und so sehen, ob es noch andere Menschen (ggf. früher) veröffentlicht haben
– Tin Eye ist ebenfalls eine umgekehrte Bildersuche, mit der sich der Ursprung eines Bildes ermitteln lässt sowie seine Modifikationen. 
– Jeffreys Exif Viewer liefert zum einem Bild im Web die Metadaten, etwa Urheber und Aufnahmedatum

Zum Verifizieren speziell von Bildern gab es noch eine eigene Session „Pics or it didn’t happen – how does social media access affect what we know about the killings in the Syrian conflict“, die auch gefilmt wurde.

weye – das „YouTube für Menschenrechte“

Auf die Verifizierung von Videos speziell aus dem Ausland hat sich weye (sprich: We eye) spezialisiert. weye will ein „YouTube für Menschenrechte“ sein, eine Plattform, „auf der Changemaker aus aller Welt Menschenrechtsvideos sicher hochladen, kommentieren und verifizieren können.“ Deswegen sammelt weye Kontext-Informationen zu den Videos. Die weye-Verifizierung bedient sich mehrerer Verfahren:

– eine Audiofrequenzanalyse, ein Verfahren der Multimediaforensik, soll die Bestimmung von Land und exakter Zeit einer Videodatei ermöglichen
– Einsatz der semantischen Suchmaschine WolframAlpha
–  Gegencheck anhand von Wetterdatenbanken und Satellitenbildern
–  Gegencheck durch menschliche Experten, mit weye bekannte Journalisten und Blogger sowie Menschenrechtsorganisationen, mit denen weye zusammen arbeitet (z.B. Reporter ohne Grenzen)

weye, das ebenso wie die mobile Fotofilm-App Luminoise und das Transparenz-Browser-Plugin Lobbyradar vom Medieninnovationszentrum Babelsberg gefördert wurde, befindet sich noch im Prototypen-Status und ist noch nicht öffentlich zugänglich.

Eine absolute Sicherheit gibt es beim Verifizieren nicht, aber durch solche Recherchen können Journalisten zumindest eine akzeptable Plausibilität herstellen. Die eigene Community kann dabei ein wertvoller Helfer und Hinweisgeber sein.

P.S: Lesetipp: Vor kurzem hat das European Journalism Center das „Verification Handbook for Investigative Reporting“ veröffentlicht.

Dieser Artikel ist zuerst auf dem Torial-Blog erschienen.